Rezension
Moritz Vischer, Die Rohbaumiete, Zürcher Studien zum Privatrecht, Bd. 262, Schulthess Juristische Medien AG, Zürich / Basel / Genf 2014 (zugl. Diss. Zürich 2014), 183 SeitenIrene Biber, Die Rohbaumiete, Dike Verlag Zürich / St. Gallen 2014 (zugl. Diss. Freiburg 2014), 209 Seiten
Die Rohbaumiete ist vor allem bei der Geschäftsraumiete nicht mehr aus dem Rechtsalltag wegzudenken. Sie lässt den Parteien einen maximalen Spielraum bei der Ausgestaltung ihres Mietverhältnisses. Den Vermieter entlastet die Rohbaumiete von oftmals grossen Investitionen für Ausbauten an der Mietsache, welche massgeblich auf die individuellen Bedürfnisse des jeweiligen Mieters zugeschnitten sind und damit für einen nachfolgenden Mieter ohne Interessen sein könnten. Der Mieter hingegen ist interessiert an einem individuellen, auf seine Bedürfnisse abgestimmten Ausbau der Mietsache.
Die Rohbaumiete ist gesetzlich nicht geregelt und ungeachtet der praktischen Relevanz haben sich Literatur und Judikatur nur wenig und lediglich punktuell mit diesem Thema befasst. Zu nennen wären insbesondere die Aufsätze von Richard Permann, Nicht geregeltes Sonderproblem Rohbaumiete bei Geschäftsräumlichkeiten, AJP 12/07, S. 1525 ff.; Jean-Pierre Tschudi, Die Rohbaumiete, in MRA 2/08, S. 43 ff. sowie Gianni F. Zanetti, Ausgewählte Aspekte der Rohbaumiete, in MP 2/11 S. 89 ff. Es überrascht nicht, wenn diverse Rechtsunsicherheiten bestehen. Dies betrifft zum einen den Begriff der Rohbaumiete und zum anderen deren Zulässigkeit und Ausgestaltung vor dem Hintergrund der zwingenden und dispositiven Normen des Mietvertragsrechts. Diese Lücken sollen mit den Dissertationen der beiden Autoren umfassend geschlossen werden.
Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Vergleich von ein paar Kernaussagen der Autoren:
In der Praxis hat sich wiederholt die Frage gestellt, ob die Vereinbarung einer Rohbaumiete, bei welchem der Vermieter die Mietsache in nicht voll ausgebauten Zustand zum Gebrauch überlässt und der Mieter den Aus- und/oder Umbau der Räumlichkeiten zur Herstellung des dem Gebrauchszwecks entsprechenden Zustands vornimmt oder vollendet, gegen Art. 256 Abs. 1 OR (Übergabe der Mietsache in einem zum vorausgesetzten Gebrauch tauglichen Zustand) verstosse. Beide Autoren kommen zum Schluss, dass entgegen der herrschenden Rechtsprechung und Literatur aus Art. 256 Abs. 1 OR kein bestimmter Ausbaustandard, welcher sich am vorausgesetzten Gebrauch nach Verkehrsauffassung richtet, abgleitet werden kann. Entscheidend ist vielmehr, was die Parteien im Mietvertrag als vorausgesetzten Gebrauch vereinbart haben. Zum vorausgesetzten Gebrauch tauglich erweist sich die Mietsache bei der Rohbaumiete dann, wenn sie sich für den vom Mieter vorgesehenen Aus- und/oder Umbau eignet. Der vorausgesetzte Gebrauch bezieht sich nur auf die Grundausstattung. Aus Art. 256 Abs. 1 OR lässt sich nichts gegen die Zulässigkeit der Rohbaumiete herleiten. Art. 256 Abs. 1 OR sagt nichts über den Ausbaustand der Mietsache aus, sondern nur etwas darüber, dass sie im vereinbarten Zustand vom Vermieter zu übergeben und zu erhalten ist (Biber, S. 43; Vischer, S. 67). Beide Autoren vertreten konsequenterweise die Auffassung, dass Art. 256 OR keine Kompensation zugunsten des Mieters gebietet (Vischer, S. 87; Biber, S. 43).
Die Frage der Gültigkeit einer Rückbauverpflichtung zulasten und auf Kosten des Mieters bei der Beendigung des Mietverhältnisses im Rahmen der Rohbaumiete wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Die herrschende Lehre geht davon aus, dass die Vereinbarung einer Rückbauverpflichtung sowohl gegen Art. 256 Abs. 2 OR als auch gegen Art. 267 Abs. 2 OR verstösst (Vischer, S. 152). Beide Autoren schliessen sich nach ausführlicher Diskussion der liberalen Minderheitsmeinung an, wonach vom Grundsatz der Vertragsfreiheit auszugehen ist und Rückbauverpflichtungen zulässig sind, sofern sie schriftlich vereinbart wurden (Vischer, S. 154; Biber, S. 126).
Beide Autoren vertreten die Auffassung, dass eine Mehrwertentschädigung des Mieters grundsätzlich wegbedungen werden kann (Biber, S. 135; Vischer, S. 144), wobei gemäss Vischer Art. 260a Abs. 3 OR direkt und nach Biber analog anwendbar ist. Als Gegenstück zur Wegbedingung einer Entschädigung wird dem Mieter in der Regel als Investitionsschutz eine ausreichend lange Vertragsdauer zugestanden, welche der mutmasslichen Lebensdauer des Mieterausbaus entspricht. Einig sind sich die Autoren bei der Frage, wie der Investitionsschutz bei der vorzeitigen Auflösung des Mietverhältnisses zu behandeln ist. Liegen die Gründe der vorzeitigen Auflösung beim Mieter, so bleibt es bei der vertraglichen Wegbedingung der Entschädigung (Biber, S. 137; Vischer, S. 150). Liegen die Gründe für die vorzeitige Vertragsauflösung in der Sphäre des Vermieters, hat der Mieter Anspruch auf Schadenersatz (Biber, S. 138; Vischer, S. 150).
Haben die Parteien keine Rückbauverpflichtung vereinbart, aber vorgesehen, dass mieterseitige Investitionen durch den Vermieter nicht zu entschädigen sind, kann der Mieter ein Interesse daran haben, zumindest einzelne seiner Investitionen zu entfernen. Vischer (S. 154) spricht dem Mieter ohne nähere Begründung ein Wegnahmerecht für die Mieterausbauten, die sachenrechtlich Bestandteil der Mietsache geworden sind, ab. Nach Biber (S. 132) hat der Mieter bezüglich seines Mieterausbaus grundsätzlich ein Verfügungsrecht. Und zwar unabhängig davon, ob der Mieterausbau sachenrechtlich Bestandteil der Mietsache und damit Eigentum des Vermieters bildet oder nicht.
Die Dissertation von Vischer in neun Kapitel eingeteilt. Nach der Einführung (1. Kapitel) wird in einem zweiten Schritt der Begriff der Rohbaumiete definiert und vom Dach und Fach-, Double-Net- und Triple-Net-Mietvertrag abgegrenzt (2. Kapitel). Es folgen Ausführungen zu den Mietobjekten bei der Rohbaumiete (3. Kapitel). Anschliessen wird der grundsätzlichen Fragestellung nach der Zulässigkeit und allfälliger Grenzen der Rohbaumiete in Hinblick auf Art. 254 OR und Art. 256 OR nachgegangen (4. Kapitel). Die eigentliche Vertragsabwicklung mit besonderem Augenmerk auf die Geltendmachung von Mängelrechten und Schadenersatzansprüchen erfolgt als nächstes (5. Kapitel). Im Kapitel 6 werden diverse Fragen im Zusammenhang mit der Vertragsbeendigung abgehandelt, gefolgt von sachenrechtlichen Aspekten (Kapitel 7). Die Dissertation schliesst mit Vorschlägen de lege ferenda (8. Kapitel) und einem Fazit (Kapitel 9).
Vischer vertritt in seiner Dissertation eine vermieterfreundliche Haltung. Neben der oben erwähnten (von ihm verneinten) Frage des Rücknahmerechts des Mieters kann auf folgende Beispiele verwiesen werden: Gemäss BGE 118 II 42 sollen als Geschäftsräume auch Räume gelten, die "tatsächlich dazu beitragen, dass der Mieter seine Persönlichkeit in privater oder wirtschaftlicher Hinsicht entfalten kann". Diese Auslegung wird als zu weitgehend kritisiert (S. 37). Nach Vischer soll dem Grundsatze nach kein unzulässiges Koppelungsgeschäft (Art. 254 OR) vorliegen, wenn der Vermieter dem Mieter für den Mieterausbau Vorschriften betreffend den zu berücksichtigenden Handwerkern oder Architekten macht (S. 46). Betreffend dem kleinen Unterhalt lehnt Vischer die herrschende Lehre und kantonale Rechtsprechung ab, wonach kein kleiner Unterhalt mehr vorliegt, wenn für die Reinigungs- und Aussbesserungsarbeiten besonderes Fachwissen vorausgesetzt wird. Vischer will in dieser Frage auf das vertraglich Vereinbarte abstellen. Auch Prozentklauseln sollen sich als zulässig erweisen (S. 74). Biber stimmt in dieser Frage der herrschenden Lehre zu (S. 101).
Für die Praktiker sind die in der Dissertation von Vischer enthaltenen zahlreichen Grafiken und Musterformulierungen für Vertragsklauseln sehr wertvoll.
Biber erarbeitet in einem ersten Teil ihrer Dissertation die Grundlagen der Rohbaumiete. Sie setzt sich dabei intensiv mit der bisherigen Rechtsprechung - u.a. mit BGE 104 II 202 ff. dem "Urvater" aller Entscheide zur Rohbaumiete - und Lehre auseinander. Im zweiten Teil geht Biber auf besondere Aspekte der Rohbaumiete ein. Hier behandelt sie die in der Praxis wichtigen Fragen wie z.B. der Abschluss des Rohbaumietvertrags, die Ausführung des Mieterausbaus, das Bauhandwerkerpfandrecht, die Nebenkosten, Mängel am Grundausbau und die Rückgabe des Mietobjekts. In einem dritten Teil werden weitere Rechtsfragen thematisiert. Zu nennen sind allfällige Ansprüche des Vermieters oder Dritter gegen den bauenden Mieter, der Konkurs des Vermieters und des Mieters sowie der Kündigungsschutz. Im Rahmen des Kündigungsschutzes geht Biber der Frage nach, ob die Kündigung unter Berufung auf die für den Mieterausbau getätigten Investitionen des Mieters als gegen Treu und Glauben verstossend angefochten bzw. ob die vom ihm getätigten Investitionen in einem Erstreckungsverfahren härtebegründend sein können. Biber kommt dabei zum zutreffenden Ergebnis, wenn der Mieter im Vertrag auf eine Mehrwertentschädigung verzichtet und im vom Vermieter gesetzten Vertrauen auf eine lange Vertragsdauer Investitionen tätigt, die Kündigung gegen Treu und Glauben verstossen kann, wenn der Vermieter das Mietverhältnis entgegen dem erweckten Vertrauen vorzeitig kündigt. Hat der Mieter sowohl auf eine Mehrwertentschädigung wie auch auf die Vereinbarung einer für die Ausschöpfung der Lebensdauer des Mieterausbaus ausreichenden Vertragsdauer verzichtet, können die vom Mieter getätigten Investitionen als härtebegründender Umstand für die Erstreckung geltend gemacht werden. Die Dissertation schliesst mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Thesen ab. Ein Anhang enthält die Definition der verwendeten Begriffe.
Da beide Autoren neben den Kernfragen der Rohbaumiete die abgehandelten Themen teilweise anders gewichten, ergänzen sich die Dissertationen hervorragend. Es bleibt zu hoffen, dass beide Werke in der Lehre und Praxis die ihnen zustehende Beachtung finden.
lic.iur. Markus Wyttenbach, M.B.L.-HSG, Rechtsanwalt, Zürich